8. Dezember


 

 

Heute erzähle ich dir eine Geschichte. Mach es dir also bequem. Vielleicht mit einer Tasse Tee oder Kaffee.

Leg die Füsse hoch und lausche...

 

 

Vor langer Zeit lebten die Menschen auf dieser Welt zufriedener und glücklicher als heute. Jedem wurde damals bei der Geburt ein kleiner, warmer Sack mit auf den Lebensweg gegeben. In diesem Sack befanden sich unzählige warme Kuschelis, die jeder seinen Mitmenschen verschenken konnte, wann es ihm beliebte. Die Nachfrage nach diesen Kuschelis war gross, denn wer einen geschenkt bekam, fühlte sich am ganzen Körper wohlig warm und liebkost. Wenn einer ausnahmsweise einmal wenig Kuschelis geschenkt bekam, lief er Gefahr, sich eine schlimme Krankheit einzuhandeln, die zu Verschrumpelung, Verhärtung und gar zum Tode führen konnte. 

 

Aber zum Glück war es damals leicht, Kuschelis zu bekommen. Immer, wenn einem danach war, konnte man auf einen anderen zugehen und um ein Kuscheli bitten. Der andere holte selbstverständlich einen aus seinem Sack, und sobald man sich dieses Kuscheli zum Beispiel auf die Schulter gelegt hatte, fühlte man sich wohl und bekam ein rundum gutes Gefühl. Die Menschen erbaten oft Kuschelis voneinander, und da sie auch freigiebig verteilt wurden, war es kein Problem, genügend davon zu bekommen.

 

Alle Menschen fühlten sich die meiste Zeit glücklich und liebgehabt, bis eines Tages eine Hexe darüber sehr böse wurde. Sie hatte nämlich einen grossen Vorrat an Tinkturen und Salben gebraut, der nicht gebraucht wurde, da ja fast nie jemand richtig krank wurde. Sie begann deshalb den Menschen einzureden, dass ihnen die Kuschelis bald ausgehen werden, wenn sie weiterhin so freigiebig damit seien. Und die Menschen glaubten ihr seltsamerweise. 

 

Sie fingen an, über ihre Kuschelis zu wachen und nicht mehr so grosszügig damit umzugehen. Viele beobachteten neidisch die Mitmenschen. Wenn die anderen einmal ein Kuscheli schenkten, wurden sie oft böse und machten ihnen Vorwürfe. Diese wollten ihren Eltern, Kindern und Partnern nicht wehtun und bemühten sich, anderen kein Kuscheli mehr zukommen zu lassen. Die Kinder lernten schnell von ihren Eltern: Sie merkten, dass es scheinbar falsch war, seine Kuschelis all denen zu verschenken, die danach Lust hatten. Obwohl immer noch jeder genügend Kuschelis hatte, holten die Menschen immer seltener eines hervor. Die Folgen waren schrecklich: Immer weniger Menschen erhielten die Kuschelis, die sie brauchten; immer mehr fühlten sie sich nicht mehr warm und glücklich. Viele wurden krank und einige starben sogar an Kuschelimangel.

 

Die Hexe konnte jetzt viele Arzneien verkaufen, merkte aber bald, dass sie gar nicht zu helfen schienen. Da sie nicht wollte, dass die Menschen starben, da sonst niemand ihre Mittelchen kaufen würde, erfand sie etwas Neues: Kalte Gruselis. Sie verkaufte jedem einen Sack voll Gruselis. Die Gruselis sahen genauso aus wie die Kuschelis, nur gaben sie den Menschen kein warmes und liebkosendes Gefühl, sondern ein kaltes, fröstelndes. Aber sie liessen die Menschen immerhin nicht sterben. Wenn jetzt jemand ein warmes Kuscheli haben wollte, konnten die Leute aus ihrem Vorrat kalte Gruselis anbieten. Oft gingen zwei Menschen aufeinander zu in der Hoffnung, vom anderen ein Kuscheli zu bekommen, doch dann überlegte es sich der eine oder anderen nochmal und am Ende gaben sie sich kalte Gruselis.

 

Viele liefen verbittert und vom Leben enttäuscht umher. Kuschelis waren ungeheuer wertvoll geworden. Eltern ermahnten ihre Kinder, sich genau zu überlegen, wem sie ein Kuscheli geben wollten. Paare wachten eifersüchtig über den Kuschelivorrat des anderen. Früher waren oft viele Menschen in Gruppen zusammen gekommen, ohne sich darum zu kümmern, wer wem Kuschelis schenkte. Jetzt schlossen sich alle zu Paaren zusammen und behielten misstrauisch ihre Kuschelis für sich. Wer jemandem, weil er gerade Lust hatte, ein Kuscheli gab, fühlte sich danach gleich schuldig, weil er wusste, dass ihm sein Partner das übelnehmen würde. Und wer keinen freigiebigen Partner finden konnte, musste sich Kuscheli für viel Geld kaufen.

 

Bald gab es Imitationen, die jedoch noch mehr Probleme schufen. Sie hinterliessen das Gefühl, etwas verpasst zu haben und machten regelrecht süchtig. Überhaupt gab es in dieser Zeit viel Verwirrung unter den Menschen. Und alles nur deshalb, weil eine Hexe ihnen eingeredet hatte, es gäbe nicht genügend Kuschelis und die Menschen dies glaubten.

 

Vor kurzem ist nun eine Frau aufgetaucht, die offensichtlich noch nichts von der Hexe gehört zu haben schien. Sie sorgt sich überhaupt nicht um ihren Kuschelivorrat und verteilt diese so freigiebig, wie niemand sonst, sogar ohne darum gebeten worden zu sein. Die Erwachsenen sind anfangs sehr verärgert, gibt diese Frau den Kindern doch die fixe Idee, es gäbe immer genügend Kuschelis in ihren Säcken. Die Kinder mögen diese Frau sehr und lernen langsam, dass ihre Kuschelis immer ausreichen werden. Doch die Erwachsenen sind schon so verhärtet und festgefahren in ihren Vorstellungen, dass sie die Botschaft der Frau nicht verstehen. Jetzt soll sogar ein Gesetz erlassen werden, dass den Kindern den Gebrauch der Kuschelis vorschreibt. Zum Glück kümmern sich nicht alle Kinder um dieses Gesetz, und es bleibt die Hoffnung, dass auch die Erwachsenen sich langsam wieder an die Zeit erinnern, in der sich jeder wohl und liebgehabt fühlte, weil es warme Kuschelis in Hülle und Fülle gab.

 

 

Wann werden wir endlich wieder damit beginnen, so viele Kuschelis zu verschenken, wie jeder braucht? Fangen wir doch heute schon damit an, so oft wie möglich in den Kuschelisack zu greifen!

 

 


Eveline Baumgartner Meier

Arbeits- und Organisationspsychologin FH

Atemtherapeutin IKP

Schriftpsychologin FH

Achtsamkeitslehrerin

PRAXIS Oberhus 3, 6023 Rothenburg

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